Neun Tage in Lissabon by Le Tellier Hervé

Neun Tage in Lissabon by Le Tellier Hervé

Autor:Le Tellier, Hervé [Le Tellier, Hervé]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: dtv Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München
veröffentlicht: 2015-04-18T16:00:00+00:00


Am Abend habe ich António wieder gesehen, der an der Hotelbar lehnte und einen Whisky trank. Er unterhielt sich mit dem Barmann, belangloses Geplauder. Ich habe meinen Blick lange auf seinen Nacken geheftet.

Er war also nicht mehr als das, Irene, der Mann, der Dein Geliebter war. Dieser kleine, fast schon buckelige Mann, der da so unelegant trank, dessen Haar am Hinterkopf lichter wurde, der nicht einmal ein Jackett zu tragen wusste.

Als habe er mich hinter seinem Rücken erahnt, drehte António sich um. Er lächelte mich an, ich erwiderte sein Lächeln. Er schien eine Frage zu erwarten, ein Zeichen geheimen Einvernehmens, aber ich setzte mich nur neben ihn. Ich bestellte ebenfalls einen Whisky und sagte, auf seine Reaktion lauernd:

– Ich bin spazieren gegangen. Bis zum Friedhof hinter der Brücke.

– Notizen gemacht, wie immer?

Er trank einen Schluck von seinem Fusel, und ich glaubte in seinem Tonfall einen Hauch von Spott zu vernehmen, als mäße ich meinen Notizen eine Bedeutung bei, die sie nicht verdienten.

Ich lächelte:

– Ja, wie immer.

Nichts drängt mich jemals zum Schreiben, keine Wörterflut stürzt auf mich ein. Es liegt so viel Eitelkeit in diesen Dingen, dass ich nur schreibe, um mich meiner Selbstachtung für würdig zu halten.

Und außerdem setzen sich am Ende die Figuren gegen alles durch, so wie der Traum sich über das Leben erhebt, das Trugbild über die Liebe. Selbst Dein Gesicht, Irene, verschwindet hinter dem Gesicht derjenigen, die hier Deinen Vornamen trägt. Von Seite zu Seite lasse ich Dich verdorren, Dich welken, und früher oder später wirst Du gänzlich aufgesogen werden von der Irene dieses Romans, die so viel lebendiger ist als Du.

– Du solltest dort ein paar Fotos machen, António.

– Auf dem Friedhof? Okay, in zwei Tagen. Denn morgen kommt Irene. Das vergisst du doch nicht, oder? Und der Pinheiro-Prozess fängt auch an.

Ich nickte.

Ich frage mich, ob es jetzt nicht an der Zeit ist, über Pinheiro zu sprechen. Damit schweife ich vielleicht von dieser Erzählung ab, aber es ist doch eine recht eigenartige Geschichte. Vor zwei Jahren erlebte Lissabon in einem Zeitraum von vier Monaten eine unerklärliche Mordserie. Dreizehn Menschen unterschiedlichsten Alters, unterschiedlichster Herkunft. Eine betagte Rentnerin, ein erwerbsloser Arbeiter, ein Allgemeinmediziner, ein Fischhändler, eine Bankangestellte, ein Mittelschüler … Die Morde wiesen eine Verbindung untereinander auf, die die Polizei der Presse absichtlich verschwiegen hatte, damit nicht bekannt wurde, dass ein Serienmörder in der Stadt sein Unwesen trieb: Jedes Mal hatte der Mörder dieselbe Waffe benutzt, eine Pistole vom Kaliber 7,65 mm. Und jedes Mal hatte er zwei oder drei Schüsse abgegeben, ohne jede Form von Besessenheit, sondern nur um sicherzugehen, dass die Opfer nicht mehr am Leben waren.

Die Untersuchung erbrachte so wenig Indizien, dass man wohl noch lange auf der Stelle getreten wäre, wenn nicht eines Nachts, kurz nachdem er im Innenhof seines Wohnhauses Schüsse gehört hatte, ein Schneider, der noch spät arbeitete, bemerkt hätte, wie ein Unbekannter durchs Portal trat. Der Schneider war sogleich nach draußen gestürzt. Der Mann ging langsam vor sich hin, ohne sich umzudrehen. Er floh nicht. Und doch hatte ihn der Schneider, allein seiner Intuition folgend, am Ärmel gepackt und festgehalten.



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